Der Wunderhengst Totilas wird zum Problemfall

„Mir tut dieses Pferd unendlich leid“

Totilas in „Zwangsjacke eingesperrt“ – Kurd Albrecht von Ziegner hält nichts von holländischen Methoden

»Mechtersen: Seit sieben Olympischen Spielen ist die deutsche Dressurmannschaft auf Gold abonniert, musste sich aber bei den vergangenen drei Spielen in der Einzelwertung hinter den Niederlanden mit Silber begnügen. Bei der WM 2010 gewann der Holländer Edward Gal mit dem Wunderhengst Totilas dreimal Gold. Dann kaufte in Paul Schockemöhle für zehn Millionen Euro, und das olympische Dressurgold 2012 in London schien gesichert. Nun aber wurde der Hengst zum Problemfall. Kurd Albrecht von Ziegner aus Mechtersen gilt als anerkannter Ausbilder und Verfechter der klassischen Reitlehre. Unser Mitarbeiter Dr. Hans G. Stürmann befragte ihn zum Fall Totilas.

Interview:

  • Hat es Sie überrascht, dass MatthiasAlexanderRath  Totilas nicht in den Griff bekommt?

    Von Ziegner: Das hat mich überhaupt nicht überrascht. Ich habe von Anfang an gedacht, dass der junge Mann da eine schwierige Aufgabe zu übernehmen hat, fast unlösbar. Zuvor hatte Isabell Werth das abgelehnt, denn es konnte nur schief gehen.

  • Warum?

    Von Ziegner: Weil der Hengst in einer total anderen Weise ausgebildet ist, als es unsere Ausbildungsmethoden festlegen.

  • Was ist der Unterschied?

    Von Ziegner: Die Holländer wenden ein System an, wobei dem Pferd eine Form vorgegeben wird, in die es sich begeben muss und so, gewissermaßen in einer Zwangsjacke eingesperrt, dressiert wird. Es muss in diesem Rahmen funktionieren. Ich halte diesen Rahmen, auch Rollkur2) genannt, für absolut unakzeptabel, weil er das Pferd quält. Der Hals wird runter gebogen, die Nase kommt praktisch zwischen die Vorderbeine und das Pferd hat keine Chance, dem zu entweichen. Das ist keine Ausbildung der natürlichen Anlagen, sondern eine Unterwerfung, die wir ablehnen. Wir wollen, dass es sich geistig und körperlich entwickelt und ihm Gelegenheit geben, sich unter dem Reiter mit seinem natürlichen Charme voll zu entfalten. Das ist eben der Unterschied zwischen einem ausgebildeten und ein einem abgerichteten Pferd, das in permanenter Verspannung auf Knopfdruck reagiert.

  • Warum bilden die Holländer dann aber so aus?

    Von Ziegner: Fachleute und Tierärzte streiten darüber, ob diese Ausbildung Quälerei ist. Die holländische Seite sagt, die Pferde geben sich da rein. Sicher, die gehen da rein – weil sie keine Chance haben sich dagegen zu wehren. Sie lernen die Hilflosigkeit, um widerstandslos gedrillt zu werden.

  • Unsere Reitlehre verlangt ein Miteinander und keine einseitige Dominanz?

    Von Ziegner: So ist es. Wir arbeiten nach den klassischen Grundsätzen. Ich möchte das Pferd nicht als Knecht, sondern als willig mitarbeitenden Partner haben, seine Persönlichkeit respektieren und sein Potential aufbauen. Der Rahmen, von dem ich sprach, steht als nicht am Anfang, sondern am Ende der Ausbildung.

  • Mit unserer klassischen Reitlehre haben wir über Jahrzehnte olympisches Gold gewonnen. Bei der WM 2010 und der EM 2011 holten sich die Holländer nun alles Gold. Weist ihre Methode den zukünftigen Weg?

    Von Ziegner: Das hoffe ich nicht. Dann würde die Reitkunst auf die Ebene des Zirkus abgleiten. Das ist aber auch Sache der Richter. Nicht immer ist da die nötige Kompetenz gegeben, und die verantwortlichen Gremien sind nicht konsequent in der Durchsetzung des auf den klassischen Grundsätzen beruhenden Reglements.

  • Lassen sich die Richter zu oft von sogenannten Highpoints blenden und vernachlässigen den Gesamteindruck?

    Von Ziegner: Leider ja. Zum Schluss wird der Gesamteindruck bewertet. Ob das Pferd losgelassen war, immer im Gleichgewicht und taktrein. Entscheidend sollten auch Anlehnung, Geraderichtung, Schwung und Versammlung sein. Fehler in den einzelnen Lektionen dürfen sich nicht nur dort, sondern nachdrücklich auch im Gesamteindruck niederschlagen. Diese Punkte sind für mich wichtiger als die Noten für einzelne Lektionen, und ich würde sie noch weiter ausbauen. Das wäre auch zum Wohle der Pferde.

  • Wird AndreasRath es mit unserer Ausbildungsweise bei Totilas noch schaffen?

    Von Ziegner: Nein, das glaube ich nicht. Mir tut dieses Pferd unendlich leid. Totilas hat dieses Schicksal nicht verdient. Er ist so talentiert, ein Jahrhundertpferd. Er möchte gern mitmachen und ist arbeitswillig. Er hat aber nur dieses System gelernt. Das kann er unter einem Reiter, der wie Edward Gal die Knöpfe bedienen kann. Und jetzt mit zwölf Jahren soll er begreifen, dass alles falsch war? Das ist eine Überforderung des Pferdes und ihn gegenüber in hohem Maße unfair.

  • Darum soll nun ja der frühere holländische Totilas-Trainer SjefJanssen verpflichtet werden.

    Von Ziegner: Das verstehe ich als Vertreter der deutschen Reitlehre überhaupt nicht. Ich würde es auch nicht verstehen, wenn die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) das tolerieren würde. Denn Rath hat sich als Kaderreiter mit Unterschrift verpflichtet, dem Pferd gegenüber fair zu sein und den Tierschutz zu achten. Er muss nach den Grundsätzen der klassischen Reitlehrer arbeiten. Wie sollte das mit Janssen denn gehen?

  • Ist die klassische Reitlehre nun möglicherweise überholt?

    Von Ziegner: Nein, sie darf nicht überholt sein, und Geld sollte auch nicht dazu führen. Die Reitkunst ist ein Kulturgut, das es zu bewahren gilt. Hier ist unsere FN gefragt.

Zur Person:

Kurd Albrecht von Ziegner, Jahrgang 1918, wohnt auf seinem Reiterhof in Mechtersen im Landkreis Lüneburg. Zunächst Offizier im Reiterregiment 9, nach dem Kriege bis 1956 aktiv im Reitsport bis zu Klasse S. Inhaber des Deutschen Reiterabzeichens in Gold. Von 1956 bis 1976 Offizier der Bundeswehr. Danach widmete er sich der klassischen Reitkultur als Ausbilder und Fachautor. Seit 1953 bearbeitet von Ziegner die Reitlehre von Wilhelm Müseler, die deutsche Bibel für jede Reitausbildung. In den USA veröffentlichte er die „Elements of Dressage“ und gab auch dort jahrelang Lehrgänge. Mitbegründer der Gesellschaft „Xenophon“ zur Erhaltung und Förderung der klassischen Kunst, als deren Sprecher er sich häufig engagiert. Veröffentlichungen in renommierten in- und ausländischen Fachzeitschriften.«1)

Fazit:
„Wie kein anderes Paar stehen derzeit Matthias Alexander Rath und Totilas für die gnadenlose Vermarktung des Reitsports (Hippokapitalismus).“1)

1) Quelle: LZ, hgst, Dr. Hans Günter Stürmann, 21. Februar 2012

Rollkur (Pferdesport):

2) Mit dem Begriff Rollkur wird beim Dressurreiten, Springreiten oder Westernreiten eine Trainingsmethode bezeichnet, die durch ein gewolltes Herabziehen des Pferdekopfes mit Hilfe der Zügel in Richtung Brust gekennzeichnet ist. Hierbei wirkt der Reiter derart stark auf die Zügel ein, dass er sein Pferd zum Senken des Kopfes und Einrollen des Halses zwingt. Je nachdem, wie stark der Druck auf die Zügel ist, „beißt“ sich das Pferd in die Brust. Der Begriff wurde durch den Artikel ROLL-KUR in der Zeitschrift St. Georg (Ausgabe 11/1992) geprägt, in dem Heinz Meyer den Umgang insbesondere der international erfolgreichen Reiter auf dem Abreiteplatz, aber auch die Untätigkeit der Kampfrichter und der FEI kritisierte. Blieb dieser Artikel bei Turnierreitern weitgehend unbeachtet, so erlangte Gabriele Pochammers scharfer Angriff der niederländischen Reiter in einem weiteren St.-Georg-Artikel 2005 große internationale Beachtung, da hierin eine deutsche Journalistin unmittelbar vor den Europameisterschaften die schärfste Konkurrenz angriff. Durch diesen Artikel fand der Begriff Rollkur Eingang in das internationale Fachvokabular.

2) Quelle: wikipedia.org – Rollkur – Pferdesport

4 thoughts on “Der Wunderhengst Totilas wird zum Problemfall

  • 9. März 2012 at 09:49
    Permalink

    Totilas,

    Alles Quatsch von holländischer Rollkur. Es soll nur nicht zugegeben werden, dass Herr Gaal ein begnadeter Reiter ist! Wenn der junge Rath den Hengst nach Roll-Manier reiten will, so fliegt er runter. Warum hat er als Erster mit der Sprungkappe angefangen? Wahrscheinlich war Schockemöhle die Allianz mit dem Schafhof billiger als Gaal zu engagieren!

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  • 4. März 2012 at 07:53
    Permalink

    Mir tut er leid, aber die Roll-Kur wird auch beim Menschen angewendet! Ich find es schrecklich. Aber es bedarf einer sehr intensiven Betreuung, so ein Pferd wieder Pferd sein zu lassen.

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  • 3. März 2012 at 21:52
    Permalink

    Bravo Herr von Ziegner,

    das ist absolut auf den Punkt gebracht. Das arme Pferd ist ein Opfer von Geld und Erfolgsdruck. Der Vergleich mit dem Zirkus trifft es auf den Punkt. Das, was Totilas in seinem Leben gelernt hat, hat nichts aber auch gar nichts mit der klassischen Reitlehre zu tun. Welch ein Armutszeugnis, dass sich Rath an Janssen wendet. Und es ist ein Armutszeugnis unserer Richterschaft, nicht gegen diese holländische Reitweise zu rebellieren. Die klassische Reitlehre wird auf Dauer auf der Strecke bleiben, wenn die Richter sich weiterhin blenden lassen!

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  • 3. März 2012 at 18:13
    Permalink

    Es ist sehr bedauerlich, dass hier vorrangig dem Kommerz nachgegeben wird und nicht der Gesundheit und Gesunderhaltung des Tieres. Diese Ausbildungsmethoden widersprechen den ethischen Grundsätzen und dem Tierschutzgesetz und öffnen Tür und Tor für jedermann. Das hat mit klassischer Ausbildung nichts mehr zu tun und ist abzulehnen.

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